Programmkonzept 1998
     

    Musik und Malerei
     
     

    Liebe Konzertbesucherin, lieber Konzertbesucher

    Musik und Malerei ­ so heisst das Leitmotiv der diesjährigen Konzertreihe der SCHWEIZER KAMMERPHILHARMONIE. Und wir fragen uns: Was haben die beiden Künste miteinander gemeinsam? Hören nicht die meisten Menschen Musik und sehen dabei nichts, weder Farben noch Formen? Und betrachten nicht die meisten Menschen ein Gemälde und assoziieren dazu weder Rhythmen noch Harmonien?

    Interessant dürfte der Hinweis sein, dass eine gezielt reflektierte Auseinandersetzung mit beiden Kunstformen bereits innerhalb der Romantik einsetzte. Unter anderen ist es der zutiefst musi-
    kalische Dichter Clemens Brentano, der die innere Verbundenheit, ja Austauschbarkeit des musikalischen wie optischen Eindrucks in einem seiner schönsten Gedichte zum Ausdruck brachte.
     

    Abendständchen

    Hör, es klagt die Flöte wieder,                 Holdes Bitten, mild Verlangen,
    Und die kühlen Brunnen rauschen,          Wie es süss zum Herzen spricht!
    Golden wehn die Töne nieder ­               Durch die Nacht, die mich umfangen,
    Stille, stille, lasst uns lauschen!                blickt zu mir der Töne Licht.
     

    Wir trauen nach einer genaueren Lektüre dieses Gedichtes unseren Sinnen, das heisst unseren Ohren und Augen nicht mehr. Da spricht jemand tatsächlich von Tönen, die nicht wie Gold,
    sondern golden niederwehen. Ja mehr noch: In den beiden letzten Zeilen wird diese synästhetische, die Sinne aus-tauschende Erfahrung, auf einen nicht mehr zu überbietenden Höhepunkt geführt: Durch das alles umfangende Dunkel der Nacht blickt(!) nicht etwa das Licht des Mondes oder der Sterne, sondern das ,Licht der Töne! Die Austauschbarkeit der Sinne als Synästhesie wurde von nun an inspirierendes Stimulans sowohl für die Musik wie für die Malerei.

    Die Wege zu einer gegenseitigen Beeinflussung beider Künste waren damit noch nicht ganz erschlossen, aber sie führen direkt zu den tiefgreifenden Verwandlungsprozessen nicht nur der Musik, sondern auch der Malerei unseres Jahrhunderts heran. Heute sprechen wir nicht nur ganz selbstverständlich von Synästhesie, sondern bedienen uns ebenso selbstverständlich musikalischer Begriffe wie Harmonie, Dissonanz, Rhythmus im Bildaufbau, ja sogar des Farbklangs als Interpretationshilfen, wenn es nicht nur um Musik, sondern ebenso um Malerei geht.

    Diese Art Kompositionen und ihre stets ambivalente Abhängigkeit von Kunstwerken der
    Malerei bringen interessante Begegnungen an der diesjährigen Konzertreihe der SCHWEIZER KAMMERPHILHARMONIE.
     

                                               Joseph Bättig